Stadtgeschichte Borghorst
In einem Einkünfteregister des Stifts aus dem ersten Drittel des 14. Jahrhunderts findet sich der früheste Beleg für die Verarbeitung von Flachs in Borghorst. Allerdings handelt es sich um eine geringe Menge Flachs und so kann daraus kein Schluß auf eine Leinenweberei größeren Ausmaßes gezogen werden. Immerhin aber wird 1469 Borghorst in Verbindung mit der Hanse erwähnt und ab etwa 1500 entwickelte sich die Leinenweberei zunehmend rascher. Im 17. Jahrhundert bildeten die Leinenweber die bei weitem größte Berufsgruppe im Ort. 1660 standen 86 Leinenweber 58 anderen Handwerkern bzw. Tagelöhnern gegenüber.
Schon 1657 kam es daher zur Gründung einer Gilde der Leinentuchmacher. Der Gildebrief ist vom damaligen Stiftsvogt Graf Philipp Konrad von Bentheim, Tecklenburg und Steinfurt ausgestellt, der auch die unmittelbaren landesherrlichen Rechte über das Dorf und Kirchspiel Borghorst wahrnahm. Das sog. Dockmaker-Kistken, also die Zunftlade der Gilde der "Tuchmacher", ist noch erhalten. Sie ist aus Eichenholz mit handgearbeiteten Eisenbeschlägen und hat an ihrer Vorderfront eine schöne Schnitzarbeit aus miteinander verbundenen Drachenköpfen und einer Maske in der Mitte. Die Lade verschließen zwei Schlösser; jeder Obermeister der Zunft besaß einen Schlüssel und die Lade konnte so nur von beiden gemeinsam geöffnet werden.
In dieser Zunftlade wurde außer dem bis heute erhaltenen Kassenbuch und vermutlich den Einnahmen auch das Gildebuch aufbewahrt, das bei der Gründung im Jahr 1657 angelegt worden ist und mit seinen 29 Artikeln die Mitgliedschaft in der Gilde regelte, Gildebriefe und ein Mitgliederverzeichnis enthielt. Die Mitgliederliste reichte bis ins Jahr 1763, als die Gilde sich wieder auflöste, und nennt die Namen vieler Borghorster Familien, denen wir auch später noch in der aufkommenden Textilindustrie des 19. Jahrhunderts und z. T. noch bis heute begegnen, z. B. Weddige, Brinkhaus, Böckeler, Böving, Lanver, Tenbaum, Kock. Diese wurden Leinenverleger, kauften das nötige Garn auf ihre Rechnung und arbeiteten es in ihren Häusern webfertig auf. Danach gaben sie es an ihre Hausweber weiter, die die fertige Leinwand gegen einen festgelegten Weblohn wieder an die Händler ablieferten.
Angaben über die Menge des in Borghorst hergestellten Leinens und über Absatzmärkte werden in den Dokumenten der Gilde leider nicht gemacht. Was aber den Absatz angeht, so kann als sicher gelten, daß das Leinen schon seit dem 17. Jahrhundert in erster Linie ins benachbarte Holland geliefert und von dort, teils gebleicht, teils ungebleicht, größtenteils nach Indien verschifft wurde. Der einheimische Flachs, vor allem im Gebiet der Bauerschaft Wilmsberg angebaut, reichte allerdings für diesen bedeutenden Umfang, den die Leinenweberei im Lauf der Zeit annahm, in Menge und Qualität bei weitem nicht aus, so daß vor allem in der Osnabrücker Gegend Flachs aufgekauft und hierher transportiert werden mußte.
Die aufstrebende Leinenherstellung und der Handel erlitten durch die Kontinentalsperre, die Napoleon 1809 verhängte, erhebliche Einbußen. Der Exportmarkt für deutsches Leinen geriet außerdem seit etwa 1800 unter empfindlichen Druck, da England verstärkt Manufakturware anbieten konnte. Die Erfindung der Dampfmaschine hatte auf der Insel zu einer sprunghaften Produktionssteigerung geführt und drückte auf diese Weise Löhne und Preise. Neuen Aufschwung nahmen die Verhältnisse, als die Borghorster sich von der reinen Leinenherstellung auf die Verarbeitung der aus England eingeführten Baumwolle umstellten, etwa ab 1839, als die beiden Leinenverleger Brinkhaus und Wieschebrink die erste "Cattun-Fabrik" (Cattun, engl. cotton, dt. Baumwolle) gründeten.
Der Übergang von der Handarbeit zur industriellen Textilherstellung vollzog sich für Borghorst ab 1855. In diesem Jahr errichtete der aus dem Oldenburgischen eingewanderte Johann Heinrich Brader die erste dampfbetriebene Stärkerei und Schlichterei und ein Jahr später eine Spinnerei ein, die zu einer erheblichen Zuwanderung aus den ländlichen Gebieten führte. Darauf folgte eine Reihe von Firmenneugründungen auch der schon vorher ansässigen Unternehmer, die sich von der Leinenweberei und dem Leinenhandel auf die mechanisierte Herstellung und Verarbeitung von Baumwollgewebe umstellten und damit zum erheblichen Aufschwung des münsterländischen Textilgewerbes beitrugen. So etwa die Borghorster Warps-Spinnerei, die 1861 von den ansässigen Leinenhändlern Kock, Hageböck, Wattendorff und Frieling gegründet wurde.
Nach dem 2. Weltkrieg erweiterte sich die Palette der Textilbetriebe noch um einige Bekleidungsfirmen. Es fand ein regelrechter Textil-Boom statt, in dessen Verlauf die Beschäftigtenzahlen der einzelnen Betriebe stark nach oben schnellten. Der Tatsache, daß nicht eine Monostruktur im textilen Gewerbe der Stadt entstand, sondern unterschiedliche Produkte hergestellt und verarbeitet werden, ist es wohl zuzuschreiben, daß die Krise der Textilindustrie in den 80er Jahren, die das Münsterland recht hart getroffen hat, Borghorst zunächst verschonte, konnte aber nicht verhindern, daß im darauffolgenden Jahrzehnt eine Reihe von Betrieben schließen mußten.