Stadtgeschichte Burgsteinfurt
Die Niederlassung des Johanniterordens in Steinfurt ist um das Jahr 1190 anzusetzen. Es wird angenommen, daß der Edelherr Rudolf II. von Steinfurt bei der Heimkehr vom Kreuzzug Kaiser Friedrich Barbarossas, an dem er teilgenommen hatte, einige Johanniter mitgebracht und sie in Steinfurt angesiedelt habe. Vermutlich wird diese erste Ansiedlung in der Nähe der Burg erfolgt sein. Da keine Gründungsurkunde der Johanniterkommende vorliegt, können wir nur auf diese Vermutungen zurückgreifen. Die erste urkundliche Erwähnung der Johanniter datiert aus dem Jahr 1222.
Der Johanniterorden konstituierte sich in Jerusalem um das Jahr 1100 und sah seine Aufgabe zunächst in Armenspeisung, Pflege und Geleitschutz der Pilger auf der Reise und im Heiligen Land. Während der Periode der Kreuzzüge wuchsen dem Orden mehr und mehr militärische Aufgaben zu. Aus der mildtätigen Gemeinschaft wurde der geistliche Ritterorden, dessen Mitglieder in drei Klassen eingeteilt wurden: Ritter, Geistliche und Laien. Ritter konnten nur Edelleute werden; unterstützt wurden sie in ihren militärischen und pflegerischen Aufgaben durch die Laien. Die Geistlichen hatten rein seelsorgerische Funktionen.
Rudolf von Steinfurt hatte mit der Ansiedlung der Johanniter in seinem Herrschaftsbereich sowohl seine landesherrliche Macht und Selbständigkeit unterstrichen als auch sein Ansehen gestärkt, indem er durch Unterstützung des Ordens mittelbar zum Kampf gegen die Ungläubigen beitrug, eine der vornehmsten Pflichten eines Edelmannes im Mittelalter. Daß den Edlen von Steinfurt aber auch der Teil der Ordenspflicht, der in der Pflege von Armen und Kranken im eigenen Lande bestand, am Herzen lag, wird ersichtlich in der ersten größeren Stiftung an den Orden durch den Edlen Ludolf II. im Jahr 1230, der Dreizehn-Armenstiftung. Ludolf schenkte den Johannitern einige Güter in der Umgebung mit der Auflage, daß zu seinem Seelenheil und dem seiner Eltern und Voreltern auf der Kommende dreizehn Arme täglich zweimal, an Fasttagen nur einmal, Speise und Trank erhalten sollten.
Diese Armenstiftung blieb nicht die einzige Unterstützung, die der Orden zur Ausübung seiner Tätigkeit erhielt. Es folgten weitere Begünstigungen und Zuwendungen durch die Edlen von Steinfurt. Auch die Grafen von Tecklenburg und von Bentheim sowie die Edlen von Ahaus machten den Johannitern Schenkungen und bildeten damit den Grundstock für das Vermögen der Kommende. Mit Erlaubnis Ludolfs II. kaufte der Orden 1244 von dem Ministerialen Hermann von der Aa den Aahof neben der Kirche, den er als Lehen des Landesherrn besaß. Auf diesem Grund errichteten die Johanniter in der Folgezeit ihre Kommende.
Als 1270 noch einmal zum Kreuzzug aufgerufen wurde, trat der jüngste Sohn der Steinfurter Edlen, Johannes, in den Orden ein, um selbst als Ordensritter am Zug ins Heilige Land teilzunehmen. Aus diesem Anlaß übertrugen seine drei Brüder Ludolf, Balduin und Otto dem Orden das Patronatsrecht über die "Große Kirche", d. h. die Johanniter erhielten das Recht zur Einsetzung der Geistlichen und Vermögensverwaltung der Kirche, das die Landesherren bis dahin selbst ausgeübt hatten. Zu dem Patronat gehörte das Eigentum über sieben größere Höfe, die dem Orden gleichzeitig überlassen wurden. 1381 wurde ihnen auch die Kapelle in der Stadt, die Vorgängerin der Kleinen Kirche, übergeben.
Damit verfügten die Johanniter bereits über erheblichen Grundbesitz und Einfluß in der Herrschaft, den sie im Verlauf der nächsten Jahrzehnte vermehren konnten. Den vorwiegend aus Zehntberechtigungen und verpachtetem Grundbesitz erwirtschafteten Überschuß - vermutlich etwa 20 % des Ertrages - führte die Niederlassung an die Ordensleitung ab und unterstützte damit die Kriegführung der abendländischen Mächte im Mittelmeerraum. Die meisten Besitzungen befanden sich in der Umgebung Steinfurts, viele jedoch auch über das ganze Münsterland verstreut, erworben durch Schenkungen, Kauf- oder Tauschverträge. Die Steinfurter Niederlassung, die erste des Ordens in Westfalen, entwickelte sich so in kurzer Zeit zur größten Kommende in Westfalen. Der Steinfurter Komtur war seit 1400 immer auch Balliv von Westfalen, d. h. Oberhaupt aller westfälischen Kommenden. Bis zur Jahrhundertwende kam es zu zahlreichen Filialgründungen (u. a. in Münster 1282). Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts waren sogar 20 Ordenshäuser im friesischen Teil des Bistum Münster von der Steinfurter Kommende abhängig und wurden lange Zeit von deren Komtur und seinem Gefolge, bestehend aus sieben Mann mit Pferden, jährlich visitiert.
In einer Zeit des wirtschaftlichen Rückgangs als Folge der Agrarkrise des 14. Jahrhunderts und der Pest, die ganz Europa heimsuchte, gerieten viele Ordenshäuser in Schulden und konnten folglich ihre Abgaben an die Ordenszentrale nicht mehr leisten. Die Steinfurter Kommende scheint diese Krise gut überstanden zu haben, sie verfügte auch jetzt noch über erhebliche Einkünfte. Im Jahr 1341 (also vor der großen Pest) lebten dort 45 Personen. Dazu zählten ein Prior, sieben andere Geistliche, ein Diakon, ein Subdiakon und eine Anzahl von Laien. In diese Zeit fällt auch der mit erheblichem Aufwand verbundene Umbau der "Großen Kirche".
Im folgenden Jahrhundert allerdings trat eine solche Verschlechterung des wirtschaftlichen Zustandes in Westfalen ein, daß auch die Niederlassung in Steinfurt 1462 ihre Zahlungen an die Zentrale einstellte. Ab 1470 sind keine Visitationen des Komturs bei Filialkommenden mehr belegt. Die Zahl der ansässigen Ritter geht bis zum Jahr 1500 auf 16 zurück. In der darauffolgenden Zeit verschlechterte sich die Lage der Ordenshäuser noch zusehends dadurch, daß allenthalben die Landesherren versuchten, den Niederlassungen Abgaben wie Zehnte oder Türkensteuer abzuverlangen und es deshalb zu vielen Streitigkeiten, teils - wie in Münster und Lage - auch zu Gewaltanwendung kam.
Infolge der erheblich größeren Anzahl an Geistlichen in der Gemeinde nach der Ordensniederlassung und Übergabe des Patronats nahm auch die seelsorgerische Tätigkeit zu. Durch das Ablaßrecht, daß die Steinfurter Johanniter 1265 von Papst Clemens IV. erwirkten und durch die Veranstaltung jährlicher Prozessionen zu Ehren des hl. Willibrord und der hl. Margarethe wurde Steinfurt zum Wallfahrtsort, der von vielen Pilgern aufgesucht wurde. Beides wird sowohl den Johannitern als auch der Stadt Einkünfte gebracht haben.
Die Versorgung der zeitweise ziemlich zahlreichen Kommende-Angehörigen und des zugehörigen Gesindes brachte vermehrt Aufträge für städtische Händler und Handwerker. Die Stadt zeigte sich ihrerseits erkenntlich, indem sie den Johannitern hier und da Vergünstigungen einräumte. So brauchten die Eigenbehörigen der Kommende kein Wegegeld an die Stadt zu zahlen und die Torwächter hatten Anweisung, den Kommendeangehörigen jederzeit unentgeltlich die Stadttore zu öffnen. Die Kommende wiederum bedankte sich mit jährlichen Geschenken.
Dies alles änderte sich mit der Einführung des neuen Glaubens in der Grafschaft. Die Johanniter, die seit 1270 das Patronat über die "Große Kirche" innehatten, behaupteten ihren Anspruch weiterhin, so daß die Gemeinde ihre Gottesdienste zunächst in der "Kleinen Kirche" in der Stadt und in der Schloßkapelle abhalten mußte, zumal Graf Arnold III. es wegen der politischen Verhältnisse nicht wagte, mit Gewalt gegen den Orden vorzugehen.
In den ersten Jahren waren die Gegensätze zwischen Landesherr, Stadt und Johannitern noch nicht so ausgeprägt, sicher weil der damalige Komtur Heinrich von Hövel und auch sein Nachfolger Alexander von Galen 1584 - 92 der neuen Lehre zuneigten und nach einiger Zeit übertraten. Heinrich von Hövel (1548 - 84) wurde abgesetzt und Alexander von Galen zum Ermelinghof (1592 - 1622) war ein strenger Vertreter der alten Lehre. Er wußte die Macht der Fürstbischöfe hinter sich, die inzwischen die Gegenreformation eingeleitet hatten, und scheute deshalb keine Auseinandersetzung mit seinen Widersachern.
Die Ordensbrüder fühlten sich nun nicht mehr an ihre Abmachungen mit Grafen oder Stadt gebunden. So kam es zu Streitigkeiten wegen der von der Kommende an den Landesherrn zu leistenden Dienste und Abgaben, und die Stadt beklagte sich, daß die Armenpflege, die die Stiftung von 1230 den Brüdern auferlegt hatte, vernachlässigt würde. Während die wenigen Ritter und Geistlichen die Pfarrpräbenden verzehrten, ohne etwas dafür zu leisten und zudem die "Große Kirche" zur Verfügung hatten, mußte sich die städtische Gemeinde behelfen und obendrein die Kosten für den Unterhalt des Pastors bezahlen. Die Erbitterung wuchs, als die Johanniter im Jahre 1553 den Überfall des Herzogs von Braunschweig auf das Stift Münster zum Anlaß nahmen, die wertvollen Kirchengeräte wegen der angeblich drohenden Kriegsgefahr nach Münster zu bringen und sich auch später weigerten, sie wieder herauszugeben.
Nachdem sich die Gemeinde durch das sog. Steinfurter Reformationsfest 1564 wieder in den Besitz der "Großen Kirche" gebracht hatte, drängte man ab 1566 auf Rückgabe der Kirchengeräte, allerdings ohne Erfolg. Als im Jahre 1571 die Geräte heimlich nach Steinfurt gebracht worden waren, um sie von hier aus weiterzutransportieren, wurde dieses Vorhaben von einem Ordensgeistlichen verraten. Daraufhin versammelte sich eine Reihe von Steinfurter Bürgern, verschaffte sich zusammen mit dem gräflichen Drosten Einlaß in die Kommende und erzwang die Herausgabe des Silberwerks. Der Großmeister des Ordens erhob hierauf 1572 Klage beim Reichskammergericht zu Speyer wegen landfriedensbrüchigen Überfalls und auf Herausgabe der Kirchengeräte. Der Prozeß dauerte bis zum Jahre 1603, die Klage wurde vom Gericht kostenpflichtig abgewiesen. Nachdem sich die Grafschaft 1591 der calvinistischen Lehre angeschlossen hatte, gab es keine Verwendung mehr für Heiligenbilder, Monstranzen oder Weihwassergefäße. So wurde ein großer Teil des Kirchengeräts 1598 an den Goldschmied Meister Peter Schroder von Essen für 600 Reichstaler verkauft und vermutlich eingeschmolzen.
Im Verlauf des 30jährigen Krieges scheinen die Bewohner der Kommende ihren Wohnsitz in das stärker befestigte, sicherere Münster verlegt zu haben, zumal sie im evangelisch gewordenen Steinfurt nun nicht mehr auf große Unterstützung hoffen konnten. Zwischen 1620 und 1645 fanden auf der münsterischen Kommende größere Um- und Neubauten statt, für die der Steinfurter Komtur Eberhard von Galen 1000 Taler stiftete, während in Steinfurt um diese Zeit keine Bautätigkeit verzeichnet ist. Mitte des Jahrhunderts, am Ende des 30jährigen Krieges, erklärte der Balliev von Westfalen die münsterische Kommende zu seiner Residenz. Das Zeitalter des Absolutismus zog herauf und die Adligen begannen sich mehr und mehr in den Residenzen der Landesherrn anzusiedeln. Die Steinfurter Niederlassung der Johanniter wurde in den folgenden Jahrzehnten zunehmend zu einem Rittergutsbetrieb umgestaltet, der von einem Rentmeister verwaltet wurde und zur Versorgung der münsterischen Kommende beitrug.
Nachdem Steinfurt von Napoleon I. der Großherzogtum Berg, später der Königreich Westfalen angegliedert worden war, wurde die Kommende 1810 aufgehoben. Das "Alte Kommenderey-Haus" wurde in der Franzosenzeit zum Sitz des Unterpräfekten der Mairie Steinfurt. Als das Gebäude nach den Befreiungskriegen in den Besitz des preußischen Staates kam, diente es vermutlich eine Zeitlang als Landratsamt. Als Entschädigungsmaßnahme für die in den Franzosenkriegen verlorengegangenen Besitzungen erhielt der Graf von Bentheim und Steinfurt unter anderem die Johanniterkommende als Geschenk des preußischen Staates. Zunächst wurde der Gutsbetrieb weitergeführt, später wurden die Gebäude zu Wohnungen für fürstliche Bedienstete umgebaut. Als solche dienen sie zum Teil noch heute.